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Überlebensstrategien
von Einzellern
Mit moderner Technologie haben wir herausgefunden, dass in der Urzeit der
Erde, als es noch keine Pflanzen gab, die Atmosphäre praktisch keinen freien
Sauerstoff enthielt, dafür viel mehr Kohlenwasserstoffe und CO2.
Nur Einzeller bevölkerten die Erde.
(P)
Ein Teil von ihnen verbesserte ihre Überlebenschancen drastisch, indem sie
Sonnenlicht als unerschöpfliche Energieversorgung für sich gewann und
gleichzeitig Fressfeinde mit dem reaktionsfreudigen freien Sauerstoff begaste. O2,
ein bis dahin unbekanntes Gas, war für viele Einzeller ein tödlicher Stoff,
weil er die Eiweißverbindungen des Körpers zerstört. Die neue Klasse von
Einzellern kann man als die ersten Pflanzen bezeichnen. Die Pflanzen waren so
erfolgreich, dass sie die gesamte Atmosphäre veränderten und ein großer Teil
der anderen Einzeller ausstarb.
(E)
Aber es starben nicht alle. Einige bildeten als Abwehr eine stabile Außenhaut
aus unempfindlicheren Materialien wie die alten Membranen. Manche von ihnen
gelang es sogar, den giftigen Sauerstoff zu nutzen, um ihren eigenen
Energiehaushalt drastisch zu verbessern. Die sehr ineffektive Energieversorgung
durch SH4 wurde durch die Verbrennung von
Kohlenwasserstoffen ersetzt. Ein wirklich notwendiger Schritt, da freier SH4
leicht oxidiert wird durch O2 und somit die
Nahrungsgrundlage verschwindet. Außerdem bildet sich Säure, ein zusätzliches
Problem für die frühen Bewohner dieses Planeten. Mehr Energie bedeutet auch
Energieüberschuss, der in schnellere Bewegungsfähigkeit umgesetzt wurde.
(A)
Andere entwickelten Reparaturmechanismen, die in der Lage waren, leichte Schäden
zu reparieren. Die Informationen, die zum Erhalt der Zelle lebensnotwendig sind,
wurden in einen besonders gesicherten inneren Bereich verlagert, die ersten
Zellen mit Zellkern entstanden. Gleichzeitig konnte diese Methode zur zuverlässigen
Reproduktion verwendet werden, weil mit einer vollständigen Reparaturanleitung
auch eine ganz neue Zelle aufgebaut werden kann. Es ist anzunehmen, dass die
Bildung von DNS oder ähnlichen Informationsträgern schon viel früher geschah,
dass sie vermutlich zu den aller ersten reproduktionsfähigen Eiweißen gehörten,
diese aber frei in der Zelle umherschwimmen konnten.
Es gab nun Zellen, die mit einem Minimum an Nahrung auskommen konnten
und Sauerstoff produzierten, Zellen, die mit Hilfe von Sauerstoff beweglich
geworden waren und Zellen mit verbesserten Reparatur- und
Reproduktionsmechanismen. Der nächste Schritt klingt so leicht, ist aber in
seiner Tragweite ungeheuerlich. Was geschieht, wenn zwei unterschiedliche Zellen
sich zusammentun?
Betrachten wir (A) und (E). (A) übernimmt die Reparatur und später
auch die Reproduktion von (E). Im Gegenzug übernimmt (E) praktisch den gesamten
Energiehaushalt von (A), macht sie damit unabhängig von SO4 und vielleicht auch
noch beweglicher.
Betrachten wir (A) und (P). (A) übernimmt wieder die Reparatur und
Reproduktion. (P) stellt seinen sparsamen Energiehaushalt zur gemeinsamen
Nutzung zur Verfügung. Damit werden neue, nahrungsärmere Lebensräume erobert.
Betrachten wir (E) und (P). Sie können einander praktisch nichts
bieten was der andere nicht schon hat, denn beide besitzen einen gut
funktionierenden Energiehaushalt. Die Kombination beider hätte jedoch den
Vorteil, dass sie vermutlich einige Zeit in ungünstigsten atmosphärischen
Bedingungen existieren könnte.
Betrachten wir alle drei gemeinsam. Was wäre eine Zelle, die für
Reparatur und Reproduktion die Eigenschaften von (A) bekommt, im Normalfall mit
wenig Nahrung auskommt durch (P) und dabei durch (E) beweglich wird? Wozu muss
sie beweglich sein, wenn sie mit wenig Nahrung auskommen kann? Wozu muss sie mit
wenig Nahrung auskommen, wenn sie durch Bewegung zu besseren Nahrungsangeboten
gelangen kann? Eine solche Zelle wäre ein Luxus, der durch keinen äußeren
Einfluss begründet wird. Außerdem besteht immer das Problem dass zwei
konkurrierende Systeme dieselbe Aufgabe erfüllen können und damit wäre eine
Steuerfunktion nötig. Gäbe es jedoch eine solche Steuerfunktion, dann könnte
solch eine Zelle zum erfolgreichsten Besiedler der entlegensten Lebensräume
aufsteigen, den die Welt je gesehen hat. Bis zu einem gewissen Grad kann sich
solch eine Zelle sogar unabhängig von ihrer Umgebung machen.
Alle Erfindungen der Natur sind nun im Prinzip gemacht, denn die
gesamte Entwicklung der mehrzelligen Lebewesen ist eine Fortführung des
Kombinationsprinzips, in dem mehrere Zellen sich zusammentun um durch
Arbeitsteilung ihre Effektivität zu steigern.
Eine abschließende Bemerkung möchte ich noch machen. Wir Menschen
denken viel zu oft in Zeiträumen die unserer Erfahrung entsprechen. Die
Entwicklung der Einzeller, die ich beschrieben habe, hat jedoch vermutlich
1.000.000.000 Jahre gedauert. Davor mussten sich erst einmal Einzeller
entwickeln und auch heute ist die Entwicklung nicht zu ende. Unsere kurze
Lebensspanne vermittelt uns jedoch den Eindruck, dass es keine Entwicklung mehr
gibt, weil sich in 60 bis 100 Jahren nicht allzu viel tut. 100 Jahre sind in der
Entwicklung des Lebens eine verschwindend kurze Zeitspanne. Wenn sich jedoch die
uns umgebende Natur in einer Lebensspanne deutlich verändert, sollten wir
stutzig werden. So schnelle Veränderungen sind nicht normal in der Entwicklung
der Natur. Außerdem sollten wir bedenken, dass eine optimale Anpassung an veränderte
Lebensbedingungen praktisch immer über Generationen erfolgt und wir Menschen im
Gegensatz zu Einzellern bewusst leiden können!
created by J. Reuther |
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created 05.09.1998
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